Auf jede Stimme kommt es an. Das Saarland hat gewählt.

Kurzanalyse

Die Landtagswahl im Saarland eröffnete das Wahljahr 2022. Mit einer deutlich geringeren Wahlbeteiligung als bei der letzten Landtagswahl (61,4 Prozent, - 8,3 Prozentpunkte) bescheren die Saarländer:innen der Sozialdemokratin Anke Rehlinger einen beachtlichen Erfolg. Den Grünen fehlen 23 Stimmen zum Einzug in den Landtag. Wahlentscheidend sind die Zukunft von Wirtschaft und Arbeit vor dem Hintergrund der besonderen Strukturbedingungen im Saarland. Auch wenn der Krieg Russlands gegen die Ukraine selbst ohne nennenswerten Einfluss auf die Wahlentscheidung der Saarländer:innen bleibt, rücken die daraus resultierenden Entwicklungen, wie etwa der Anstieg der Energiepreise und die Notwendigkeit der Energiewende, stärker in das Problembewusstsein der Bürger:innen.

Landtagswahl Saarland 2022

Saarländische SPD triumphiert, CDU geschlagen, die Grünen äußerst knapp am Einzug in den Landtag gescheitert. Mit ihrer Spitzenkandidatin Anke Rehlinger gelingt der SPD ein beachtlicher Wahlerfolg (43,5 Prozent). Sie zieht nach gut 22 Jahren wieder in die Staatskanzlei ein. Unter Tobias Hans verliert die CDU massiv an Rückhalt in der saarländischen Bevölkerung (-12,2 Prozentpunkte). Mit einem Ergebnis unter 30 Prozent erreicht sie ihr historisch zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl im Saarland.

Auch wenn die AfD Verluste eingefahren hat, zieht die als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei wieder in den Landtag ein. Für AfD-Wähler:innen scheinen die hohe Zerstrittenheit und die personellen Zerwürfnisse innerhalb des Landesverbands bedeutungslos; entscheidender sind der zunehmende Ausdruck einer grundlegenden politischen Überzeugung (36 Prozent der AfD-Wählerschaft) und der Protest gegen das politische System (54 Prozent der AfD-Wählerschaft).

Die anderen Parteien sind an der 5-Prozent-Hürde gescheitert: Die Grünen erreichen laut vorläufigen amtlichen Wahlergebnis 4,99502 Prozent, zum Einzug in den Landtag fehlen ihnen 23 Stimmen. Strukturell bleibt das Saarland weiterhin für die Grünen herausfordernd. Zum einen prägen stärker ländliche Räume das Saarland und zum anderen stehen gerade die saarländischen Schlüsselindustrien wie Stahlproduktion und die Automobil(zulieferer)branche im Mittelpunkt, wenn es um die Transformation hin zu mehr Klimaschutz geht.

Auch die FDP verpasst erneut den Einzug in den Landtag. Die Linke verliert nach gravierenden internen Streitigkeiten um Personen und Positionen nicht nur massiv an Wählergunst (-10,3 Prozentpunkte), sondern auch ihre Landtagsmandate.

Hinzu kommt eine bedeutend höhere Relevanz weiterer Parteien und Wählervereinigungen bei dieser Landtagswahl. Im Ergebnis sind über 20 Prozent des Votums der saarländischen Wähler:innen nicht im Parlament abgebildet.

Stimmenanteil Saarland

Persönlichkeit des Spitzenpersonals und Verbindung von Personen und politischem Auftrag zählen. Auch bei dieser Landtagswahl spielt die Persönlichkeit der Spitzenkandidat:innen eine entscheidende Rolle für die Wahlentscheidung. Erstaunlicherweise konnte Tobias Hans jedoch nicht vom klassischen Amtsbonus als Ministerpräsident profitieren. Vielmehr erfährt die Herausforderin Anke Rehlinger breite Unterstützung, die über die SPD-Anhängerschaft hinausgeht. Aus ihrer Position als amtierende Wirtschaftsministerin heraus gelang es ihr, politische Wirkkraft auszustrahlen und sich als zupackende politische Gestalterin zu präsentieren. Im Vergleich mit Tobias Hans wird sie laut der infratest-dimap Vorwahlbefragung als deutlich kompetenter (32-Prozentpunkte Vorsprung), führungsstärker (+35), glaubwürdiger (+30) und sympathischer (+17) wahrgenommen. Insbesondere für neu hinzugewonnene SPD-Wähler:innen spielt dieser Kandidatenfaktor eine besondere Rolle (59 Prozent; im Vergleich SPD-Anhänger:innen 49 Prozent).

Landespolitische Themen im Kontext des Strukturwandels prägen die Wahlentscheidungen. Politisch steht das Saarland vor der Herausforderung, den Strukturwandel so zu gestalten, damit die existierende Strukturschwäche überwunden wird. Saarländische Industrien, schwerpunktmäßig in der traditionsreichen Stahlindustrie und Automobil(zulieferer)branche brauchen eine zukunftsfähige Ausrichtung. In diesem Kontext sind für die Wähler:innen insbesondere wirtschaftspolitische Themen wahlentscheidend, die vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Transformation auftreten. Besonders relevant sind der Erhalt und das Schaffen von Arbeitsplätzen im Saarland (23 Prozent). Immerhin spielten bei jeder fünften Stimmenabgabe die Energieversorgung und die Klimafrage eine wahlentscheidende Rolle (19 Prozent). Zugleich wird sehr deutlich, dass die Preisentwicklung, einschließlich der Energiekosten, den Bürger:innen Sorgen bereitet (13 Prozent). Nicht ungewöhnlich hoch für eine Landtagswahl ist die Relevanz der bildungspolitischen Aufgaben (16 Prozent), wobei sich die Problemwahrnehmung in der Corona-Pandemie noch einmal verschoben bzw. verschärft haben dürfte.

Der saarländischen SPD ist es gelungen, in den zentralen Problemfeldern als kompetent wahrgenommen zu werden und sachpolitisches Vertrauen auszustrahlen. Dies gilt auch für den Bereich Wirtschaft, der als klassisches Kompetenzfeld der Union gilt (CDU: 25 Prozent, -25 Prozentpunkte; SPD: 40 Prozent, +9 Punkte). Die Grünen stehen für ihre Kompetenz in den Bereichen der Energiepolitik (17 Prozent) und Klima- und Umweltpolitik (27 Prozent). Bezüglich der Energiepolitik scheint die grüne Handlungskompetenz auf Bundesebene auf die Landesebene zu wirken. Aus grüner Perspektive bleibt aufmerksam zu verfolgen, ob es der SPD gelingt, im Bereich Klima- und Umweltpolitik weiterhin als kompetent wahrgenommen zu werden (24 Prozent Kompetenzzuschreibung für die SPD).

Das Saarland steht vor einer SPD-Alleinregierung. Damit endet eine der beiden letzten Großen Koalitionen auf Landesebene. Ein Landtag, bestehend aus nur drei Fraktionen ist eine inzwischen außergewöhnliche Konstellation in der Bundesrepublik, zogen doch in den vergangenen Jahren immer öfter fünf und mehr Parteien in die Landesparlamente ein. Nach zehn Jahren der schwarz-roten Koalition im Saarland zeichnet sich nun eine SPD-Alleinregierung ab. Abzuwarten bleibt, ob die Große Koalition im Herbst mit der Landtagswahl in Niedersachsen zu einem politischen Auslaufmodell auf Landesebene wird.

Parlarmentssitze Landtagswahl Saarland

Schwäche der kleineren Parteien im Saarland stützt das starke Abschneiden der SPD. Begünstigt wird das Erreichen der absoluten SPD-Mehrheit unter anderem durch die Schwäche der kleineren Parteien. Unabhängig von ihrer politischen Couleur eint die kleineren Parteien ein hohes Maß an internen Konflikten in den vergangenen Jahren. Diese Konzentration von innerparteilichen Problemen in einem Bundesland ist tatsächlich ungewöhnlich. Eine wichtige Erklärung liegt hier in der Größe: Die Kreisverbände im Saarland sind in Teilen so groß wie in anderen Bundesländern Ortsverbände. In der damit verbundenen hohen persönlichen Nähe und Bekanntheit kann die große Kraft einer kleinen Gruppe genutzt werden, umgekehrt eröffnet das auch den Raum für mehr persönliche Fehden und destruktive Kräfte.

Die Linke, mitgegründet vom vormaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und einst mit zweistelligen Ergebnissen bei Landtagswahlen erfolgreich, erlebte bittere Konflikte zwischen Landesvorstand und Landtagsfraktion, die im November 2021 in einer Aufspaltung der Abgeordneten in zwei Fraktionen resultierten. Nach einer langanhaltenden Fokussierung auf Person und Popularität Lafontaines wird die Linke immens geschwächt durch seinen Rückzug aus der Politik und den unmittelbar vor der Landtagswahl vollzogenen Parteiaustritt.

Der FDP ist es durchaus gelungen, die Probleme innerhalb des Landesverbandes von knapp 1.000 Mitgliedern zu beheben, die 2011 zum Aufkündigen der Jamaika-Koalition durch die damalige Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) führten. Dennoch hat es die liberale Partei mit ihrer Spitzenkandidatin Angelika Hießerich-Peter im Saarland vergleichsweise schwer, spiegeln doch die strukturellen Bedingungen im Saarland weniger die eines klassisch liberales Milieus.

Saarländische Grüne mit ersten Schritten in Richtung Erneuerung. Auch die Grünen blicken auf innerparteiliche Konflikte und Personalstreitigkeiten zurück, die ihren Höhepunkt in der unzulässigen Listenaufstellung bei der vergangenen Bundestagswahl hatten.

Mit der neuen Spitzenkandidatin Lisa Becker starten die Grünen einen Neuanfang. Auch die Aufstellung der Wahlkreis- und Landeslisten mit zahlreichen neuen Personen steht für eine personelle Neuorientierung. Zurückgreifen können die Grünen auf einen leicht gewachsenen Landesverband (knapp 2.000 Mitglieder), der mittlerweile doppelt so groß ist wie die saarländische FDP und in gleicher Stärke wie die Linken.

Weitere Zersplitterung der Parteienlandschaft: 20 Prozent der abgegebenen Stimmen bleiben außen vor. Die Zunahme der Wähleranteile für weitere Parteien sowie Wählervereinigungen hat das Erreichen der absoluten SPD-Mehrheit im saarländischen Landtag befördert. Verglichen zur letzten Landtagswahl ist nicht nur die Anzahl weiterer Parteien und Wählervereinigungen gestiegen (von 10 auf 12), sondern auch der Zuspruch der Wähler:innen: an sie ging fast jede zehnte Stimme, die damit nicht im Parlament repräsentiert ist. Das betrifft auch das ökologische Spektrum, das eine steigende Anzahl von Parteien und oft ephemeren Gruppierungen umfasst, von traditionellen Kleinparteien wie der ÖDP (0,1 Prozent) über die Tierschutzpartei (2,3 Prozent) bis hin zu regionalen Wählerbündnissen wie bunt.saar, die sich sozial-ökologischen Kernanliegen verschreiben (1,4 Prozent).

Anmerkungen: Die Umfragedaten stammen aus der Infratest-Dimap-Vorwahlbefragung. Das vorläufige amtliche Endergebnis beruht auf den Angaben der Landeswahlleiterin Saarland.